Outlaw Legend - Edith Margaret Garrud
Geradlinig geschnittenes Fair Trade - "Girlyshirt", also nicht der übliche taillierte Schnitt (aber die übliche Größe)!
A woman who knows a thing or two
Als all die friedlichen Demonstrationen und Bitten nichts ändern, werden viele ungeduldig. Nicht zuletzt jene, die seit über 50 Jahren für das Frauenwahlrecht kämpfen und sich noch 1906 vom damaligen britischen Prime Minister sagen lassen müssen, sie sollen noch etwas länger ausharren und sich doch bitte weiterhin friedlich um ihre Anliegen bemühen. Der kürzlich gegründeten „Women`s Social and Political Union“ (WSPU) reicht es, der Kampf findet ab nun nicht mehr ausschließlich mit Worten und friedlichen Mitteln statt. Und Edith Margaret Garrud zeigt den Frauen, wie sie sich dabei anstellen sollen.
Edith Margaret Williams, so ihr Mädchenname, wird 1872 in Bath geboren, wächst ab dem fünften Lebensjahr in Wales auf, heiratet 1893 William Garrud und zieht mit ihm nach London. William ist Lehrer für „Körperkultur“ an diversen Universitäten, spezialisiert auf Turnen, Boxen und Ringen. 1899 lernt das Paar Edward William Barton-Wright kennen, den ersten Jiu-Jitsu Trainer Europas und Erfinder des nach ihm benannten Kampfsports „Bartitsu“. Edith ist begeistert von der Möglichkeit, mit ihren knappen 150 cm nun weit gewichtigere Männer aus den Socken heben zu können. Weitere fünf Jahre später wird sie in Soho Schülerin von Sadakazu Uyenishi, dem ersten Japaner, der außerhalb seines Landes Jiu-Jitsu lehrt. Als Uyenishi 1908 England verlässt, übernimmt William Garrud seinen Dojo, Edith kümmert sich um das Training der Frauen und Kinder.
Bald führen die Garruds zwei Trainingszentren, eines am Oxford Circus und eines in der Seven Sisters Street. Während Edith den körperlichen Unterricht übernimmt, erklärt ihr Mann die Theorie. Emily Pankhurst, Ikone der Frauenbewegung und Gründungsmitglied der WSPU, ermuntert Edith jedoch, für sich selbst zu sprechen und aktiver in das politische Geschehen einzugreifen. Edith tritt der WSPU bei und beginnt die Aktivistinnen in Jiu-Jitsu auszubilden.
„Was nützt es, unbewaffnet für Freiheit zu demonstrieren? Kommt nicht ohne Stöcke und Prügel zu den Treffen. Es reicht nicht, so zu tun, als ob – wir müssen kämpfen“ erklärt Pankhurst landauf landab. In der Tat muss etwas geschehen, denn die für ihre Freiheit eintretenden Frauen werden bei praktisch jeder Versammlung von der Polizei und einem ihr hilfreich mit reinhauenden Mob auseinander geknüppelt. Öfters ins Gefängnis gesteckt, versuchen die Suffragetten mit „russischen Methoden“ Widerstand zu leisten. Dies implementiert auch die Methode des Hungerstreiks. Da die Gefängnisse für das Leben der Insassinnen gerade stehen müssen, kommt es zu Zwangsernährungen. Je tiefer die gesellschaftliche Stellung einer Frau, desto größer die Gefahr dieser gewaltvollen Zwangsmaßnahme. Dies alles kostet die Regierung wichtige Sympathien im Meinungskampf um das Frauenwahlrecht. Sie beschließt die gemeinhin als „Cat and Mouse Act“ in die Geschichte eingegangene Verordnung, nach der die Justiz Inhaftierte, die kurz vor dem Hungertod stehen, wieder in Freiheit entlassen kann - um sie nach einer eventuellen Genesung jedoch jederzeit wieder hinter Gitter bringen zu können.
Die Frauen wiederum wissen um die Kraft der Schlagzeilen und führen gemäß ihrem Motto „Taten, nicht Worte“ beständig pressewirksame Aktionen durch, wobei sie in der Regel Körperverletzungen meiden. Sachbeschädigungen und Brandstiftungen an Nobelhäusern, vornehmen Geschäften und Fabriken ihrer Gegner sind in England um 1910 jedoch fast schon an der Tagesordnung. Als sich z.B. der Londoner Bischof - von den Suffragetten um Beistand bzw. eine Erklärung gebeten - in der Angelegenheit als „neutral“ empfiehlt, geht schon mal eine Bombe in der Westminster Abbey hoch. Traurige Berühmtheit erlangt in diesem Zusammenhang Emily Davison, als sie sich bei einem Pferderennen vor das Pferd des Königs wirft, um Tage später ihren Verletzungen zu erliegen.
Laut Edith Garrud haben Frauen bis auf die körperliche Stärke in sonst allen Bereichen Gleichheit mit Männern bewiesen und sollten, statt auf die langsame Evolution zu warten, die Gelegenheit beim Schopf packen und einstweilen Jiu-Jitsu anwenden. Polizeitaktiken der präventiven Arrestierung, Einkesselung und gewalttätigen Auseinandertreibung sollten niemals wieder gegen die für ihre Rechte eintretenden Frauen erfolgreich sein dürfen. „The Bodyguard“, eine von Garrud für den Nahkampf trainierte 30-köpfige und zu allem bereite Spezialtruppe, wird gebildet. Ihre Hauptaufgabe ist, prominente Wortführerinnen abzuschirmen, sie bei Versammlungen vor Angriffen und Verhaftungen zu schützen und unerkannt in geheime Verstecke zu bringen.
Die Bodyguard schlägt sich im wahrsten Sinn des Wortes prächtig gegen die Staatsmacht und führt die ihr zugedachten Aufgaben nach Kräften aus. Bei einem Einsatz im Luxusviertel reicht ein Pfiff von Edith Garrud, um in sekundenschnelle Fensterscheiben durch Stein- und Hammerwürfe zum Klirren zu bringen. Aber auch heftiges Handgemenge mit der meist drastisch eintretenden Polizei kommt vor. Die Bodyguards wattieren sich unter der Kleidung mit dickem Karton, tragen (versteckt) hölzerne Turnkeulen mit sich und können sich das eine oder andere Mal zur Überraschung und zum Entsetzen der Polizei erfolgreich zur Wehr setzen. Legendär wird die „Battle of Glasgow“, bei der es die Bodyguard schafft, der Polizei im Raufhandel Paroli zu bieten, u.a. durch geschicktes Abschirmen des Rednerinnenpults, indem Stacheldraht in die Blumensträuße, die die Bühne säumen, eingebunden wurde (!). Die Hauptrednerin Emily Pankhurst kann unerkannt aus dem Saal geschafft werden – ein Double wird vorgeschickt und beschützt, dann aber von der Polizei doch zusammengedroschen und fällt in Ohnmacht. Bald stellt sich jedoch heraus, dass die wahre Emily Pankhurst schon entwichen ist...
Der Erste Weltkrieg setzt dem Treiben ein Ende – der Kampf um das Frauenwahlrecht wird ausgesetzt, es gilt primär, sich von Deutschland nicht schlagen zu lassen. 1918 wird Frauen ab dem 30. Lebensjahr das Wahlrecht zugestanden, eine komplette Gleichstellung mit Männern erfolgt erst 1928. Die Garruds verkaufen ihre Schulzentren 1925, ziehen sich aus dem öffentlichen Leben zurück und steigen in das Immobiliengeschäft ein. Edith Margaret Garrud, sozusagen die Erfinderin des „Suffrajitsu“, stirbt 1971 in Kent im gnädigen Alter von 99 Jahren.